Kanon
Elisabeth Eberle | Ursina Gabriela Roesch KANON
Installation mit div. Materialien
2020
www.elisabetheberle.ch www.urgart.com
Das kollaborative Werk Kanon der beiden Zürcher Künstlerinnen, Elisabeth Eberle und Ursina Gabriela Roesch, besteht aus drei in einem Dreieck angeordneten Notenständern.
Auf einem der Notenständer steht ein Ordner. Darin sind alle Skulpturen und Gemälde des Kunsthauses Zürich aufgelistet (im Dezember 2018 aktualisiert). Die Künstlerin, Elisabeth Eberle, hat diese offizielle Liste (376 A4-Seiten) im Internet gefunden, ausgedruckt, gebunden und den Umschlag aus einem gebrauchten Kunsthaus-Plastiksack gefertigt. In dieser Bestandsaufnahme hat die Künstlerin die Werke von Künstlerinnen mit einem rosa Stabilo hervorgehoben, was beim Umblättern eine Vorstellung des extremen Ungleichgewichts vermittelt. In dem Gesamtdokument, das etwa 4100 Werke enthält, zählte die Künstlerin ca. 156 Werke von ca. 74 Künstlerinnen. Weniger als 4% der gesamten Werke in der Sammlung.
Auf dem zweiten Notenständer befinden sich zwei Blätter. Auf dem rechten Blatt sind drei Selbstporträts, in kleinem Format und farbig, der österreichischen Künstlerin, Anne Marie Jehle, aus den 1970er Jahren abgebildet. Ihr Kopf ist von einem transparenten Plastiksack des Kunsthauses Zürich bedeckt. Auf dem linken Blatt ist ein anderes Selbstporträt abgebildet. Dieses ist im A4-Format und schwarzweiss und zeigt Elisabeth Eberle im Jahre 2019. Ihr Kopf ist ebenfalls von einem transparenten Kunsthaus-Plastiksack bedeckt. Dieser Notenständer trägt den Namen „Femmage an Anne Marie Jehle“ und zeigt die Aneignung des Selbstporträts von Anne Marie Jehle durch die Künstlerin, Elisabeth Eberle, 50 Jahre später. Durch den vom Kunsthaus-Plastiksack bedeckten Kopf, werden wir mit einer unangenehmen Vision konfrontiert. Eine Anprangerung, wie die Statistik, der Diskriminierung von Künstlerinnen im Kunsthaus Zürich. 50 Jahre später, zeigt diese „Femmage“ - und nicht „Hommage“ - dass Künstlerinnen immer noch nicht in dieser Institution atmen können.
Auf dem dritten Notenständer sind ebenfalls zwei Blätter. Auf der rechten Seite, mit dem Namen „Hommage an die Banane“, hat Ursina Gabriela Roesch eine Foto-Reproduktion im Format A4 des Werks von Maurizio Cattelan realisiert. Das Werk des Italieners zeigt eine mit einem Stück Klebeband an die Wand geklebte Banane. Das Werk machte im Dezember 2019 Schlagzeilen, als es für 120'000 Dollar an die Art Basel Miami verkauft wurde. Die Nachbildung von Ursina Gabriela Roesch weicht leicht vom Original ab. Sie bildet nicht einen sondern zwei Klebebandstreifen ab, die als Kreuz über die Banane geklebt sind. Eine Entscheidung, die als Verneinung gelesen werden könnte. Auf der linken Seite des Notenständers, mit dem Namen „Femmage an die gleichen Rechte – under construction“, hat Ursina Roesch ein A4-Makrofoto platziert. Eine Plastiktüte bedeckt eine undefinierbare Struktur, Wassertropfen und Nebel sind auf dem Plastik sichtbar. Diese Fotografie ist Teil einer Serie, die Ursina Gabriela Roesch 2015 für die Ausstellung „Die Welt Retten“ in Basel aufgenommen hat. In ihrer Kunstpraxis verwendet die Künstlerin Werke wieder, recycelt und
September 2020 | Preisliste Ursina Gabriela Roesch
FATart Fair 2020, Schaffhausen
entwickelt sie zu neuen Formen. Die beiden Bilder „Femmage an die gleichen Rechte - under construction“ und „Hommage an die Banane“ stehen im Kontrast nebeneinander. Rechts die Aneignung eines fertigen Werkes, das verkauft wurde, und links, eine unklare, abstrakte Vision. Es stellt sich die Frage: Was fehlt bei der Realisierung dieses Projekts under construction?
« Kanon », der Titel der Installation, kann sich auf eine mehrstimmige Musikkomposition beziehen, die das gleiche melodische Muster in regelmäßigen Abständen wiederholt. Auf den drei Notenständern sind die Partituren offen und verschiedene Stimmen kommen zu einem Schrei zusammen. Eine Stimmgabel steht auf der Kante des Ständers von Ursina Gabriela Roesch bereit, um die Stimmen zu stimmen.
Der Kanon kann sich auch auf eine Reihe von Normen und Regeln beziehen, die einen Trend und eine Epoche in der Kunstwelt definieren. Die Zusammenarbeit von Ursina Gabriela Roesch und Elisabeth Eberle bringt eine mehrstimmige feministische Kritik der Kunstwelt hervor. Kritik an einem patriarchalischen System, das Künstlerinnen diskriminiert, sowohl auf dem Kunstmarkt als auch in seinen Institutionen.
Ursina Gabriela Roesch und Elisabeth Erbele setzen sich beide für die Bekämpfung des Sexismus in der Kunst ein. Die Erstellung von Statistiken und Archiven ist ein wichtiger Teil der Arbeit von Elisabeth Eberle.Seit 2010 sammelt sie in ihrem Langzeitprojekt 'Frauen* zählen' Beispiele und Zahlenmaterial zum Gender Gap, um Kunstinstitutionen mit der starken Diskriminierung, die in ihrem Inneren stattfindet, zu konfrontieren. Ursina Gabriela Roesch ist Mitbegründerin der Organisation Femme Artist Table (FAT). FAT ist ein internationales Netzwerk und eine Initiative für Künstlerinnen* in Zürich und Schaffhausen. Seit 2016 aktiv mit Initiativen und umgesetzten Projekten, u.a. die FATart, eine Kunstmesse und Ausstellungsplattform für Produzentinnen* ; die erste und einzige in Europa. « Frauen* Zählen », ihre individuellen Werke sowie « Kanon » können vom 11. bis 13.09.2020 an der Kunstmesse FATart besichtigt werden.
Die beiden Künstlerinnen lernten sich über das FATnetzwerk kennen. Seit dem überschneiden und ergänzen sich ihre feministischen Agenden. Diese Installation ist ihre erste gemeinsame künstlerische Arbeit.
Text: Pauline Della Bianca Kunsthistorikerin (MA) Kuratorische Leiterin FATart